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Das liegt weniger an einer nicht ausgearbeiteten Theorie, sondern mehr an den Eigenheiten unseres Sehsinns. Er ist nicht nur aufgrund der Empfindlichkeit der Zäpfchen im Auge nicht linear (Graßmann hin oder her), sondern verarbeitet jede Information sehr nach der Umgebung. Denis hat ja schon einen Hinweis auf die Farbmetrik/Colourimetry gegeben. Wenn man sich damit beschäftigt, werden einige Dinge klarer. Zwei Punkte möchte ich kurz ansprechen, das ist die Metamerie und die chromatische Adaption, die eine Grundlage für die Farbkonstanz legt. Du findest dazu umfangreiche Erläuterung im Netz oder bei der Wikipedia. Das Buch von der UGRA, das Denis empfohlen hat, kenne ich nicht, gefunden habe ich nur dieses Buch, das ist aber nicht mehr zu bekommen. Sollte über die Fernleihe deiner Stadtbücherei zu erhalten sein.
Metamerie ist der Grund, warum man überhaupt mit einem Monitor, der eigentlich nur drei Farben kann und dabei nicht einmal die möglichen Frequenzextrema abdeckt, das gesamte dem Menschen mögliche Spektrum abdecken kann. Eigentlich ist es doch vollkommen bescheuert, dass wir Violett aus Blau und Rot mischen können, obwohl Violett von der Frequenz noch unterhalb von Blau liegt. Unserem Auge kann man einen identischen Farbeindruck vermitteln, obwohl sich die Frequenzanteile des Lichtes komplett unterschiedlich zusammensetzen. Das ist verdammt merkwürdig und die Umrechnerei, ob zwei Farbmischungen gleich aussehen werden, ist reichlich kompliziert, zumal es dafür auch noch deutlich unterschiedliche mathematische Modelle gibt.
Farbkonstanz ist die erstaunliche Fähigkeit unseres Sehapparats, eine Erdbeere unter verschiedensten Lichtquellen immer als Rot anzusehen, obwohl man mit einer dummen und nicht abgeglichenen Kamera sehen kann, dass sich die Farbe eigentlich ständig ändert. Für unser Überleben eine äußerst hilfreiche Funktion, es jedoch mathematisch in ein strenges Konzept zu pressen, ist nicht trivial. Man versucht dabei zu erfassen, wie wir Farben abhängig der äußeren Umstände wahrnehmen.
Weiterhin ist der Farbraum immer ein dreidimensionales Objekt, jede 2D-Abbildung dementsprechend verzerrt. Bei Prad und den meisten Publikationen findet sich CIELAB/CIE 1931, die bekannte Schuhsohle. Nachteil ist, dass sie eine riesige Empfindlichkeit des menschlichen Auges im Grün vorgaukelt, die überhaupt nicht gegeben ist. Deshalb würde ich bei jeder an interessierte Laien gerichtete Publikation CIELUV/CIE 1976 bevorzugen, die in dem Punkt eine deutlich realistischere Einschätzung der erweiterten Möglichkeiten gerade von Wide Gamut Monitoren ermöglicht.
Um all diese Variablen in ein Konzept zu bringen, bei dem verschiedene Personen an verschiedenen Orten einen gleichen Eindruck eines Bildes/Ausdrucks/etc. erhalten, dafür wird der ganze Aufwand getrieben. Dabei geht es nicht um höchstmöglichen Realismus oder die absolute Richtigkeit, sondern um die Vergleichbarkeit. Die Möglichkeit, den Eindruck abschätzbar zu machen, den diese andere Person haben wird. Deshalb ist es nicht verkehrt, wenn be_nice seinen Monitor mit 170cd/m² fährt und weiß, dass Prints später dunkler ausfallen werden. Wenn er damit den Ausdruck so hinbekommt, wie es vom Kunden erwartet wird, ist alles in Ordnung. In der analogen Fotografie gibt es spezielle Profifilme, die man für teuer Geld von wenigen Fachhändlern erwerben kann. Die sind keinen Deut besser als die normale Ware, haben aber eine Besonderheit. Sie werden unter sehr strengen Bedingungen produziert, gelagert und ausgeliefert. Damit ist gewährleistet, dass jeder Film einen identischen Bildeindruck hervorruft. Für einen Profi ein unschätzbares Argument. Und um diese Vorhersagbarkeit geht es, nichts anderes.